22.01.2025

Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten AU-Bescheinigung

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Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann im Einzelfall erschüttert sein.

 Im vorliegenden Fall ist der Kläger seit 2002 bei der Beklagten als Lagerarbeiter beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er nach seinem jeweiligen Urlaub AU-Bescheinigungen aus dem Ausland vor. Vom 22. August bis zum 9. September 2022 machte der Kläger Urlaub in Tunesien. In einer E-Mail vom 7. September 2022 teilte er der Beklagten mit, er sei bis zum 30. September 2022 krankgeschrieben. Beigefügt war ein Attest vom 7. September 2022 eines tunesischen Arztes, der bescheinigte, dass er den Kläger untersucht habe, dieser an „schweren Ischialbeschwerden“ leide, der Kläger 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30. September 2022 benötige und er sich während dieser Zeit nicht bewegen oder reisen dürfe. Am Tag nach dem Arztbesuch buchte der Kläger ein Fährticket für den 29. September 2022 und reiste an diesem Tag mit seinem Pkw zunächst mit der Fähre nach Genua und dann weiter nach Deutschland. Danach legte er der Beklagten eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 4. Oktober 2022 vor, in der Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober 2022 bescheinigt wurde. Die Beklagte wies die AU-Bescheinigung vom 7. September 2022 zurück und lehnte die Entgeltfortzahlung ab. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage. Das Arbeitsgericht (ArbG) wies die Klage ab; das Landesarbeitsgericht (LAG) gab ihr statt. Auf die Revision der Beklagten hob das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Berufungsurteil auf. Das LAG hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass einer AU-Bescheinigung, die in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt, wenn sie erkennen lässt, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat. Es hat aber bei der Würdigung der vorgetragenen tatsächlichen Umstände nur jeden einzelnen Aspekt isoliert betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der tunesische Arzt dem Kläger für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Weiter buchte der Kläger bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Reiseverbotes bis zum 30. September 2022, ein Fährticket für den 29. September 2022 und trat an diesem Tag die Rückreise nach Deutschland an. Zudem hatte er bereits in den Vorjahren unmittelbar nach seinem Urlaub AU-Bescheinigungen vorgelegt. Diese Gegebenheiten mögen – wie das LAG angenommen hat – für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründen sie indes ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU-Bescheinigung. Das hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit trägt (BAG-Urteil vom 15. Januar 2025 - 5 AZR 284/24).

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