28.07.2016

Stärke im Team zeigt sich, wenn man verliert

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Zwischen Leistungssport und Joballtag scheinen manchmal Welten zu liegen. Doch es gibt zahlreiche Studien, die Parallelen ziehen. Der AGA hat mit Profisportler Steffen Kiese (28 Jahre), bis vor Kurzem Point Guard beim Basketballteam Hamburg Towers, über das Thema gesprochen. Kiese absolviert derzeit ein Traineeship im Verband und bereitet sich auf seine künftige berufliche Tätigkeit in der Finanzwirtschaft vor.

AGA: Warum ist es für einen erfolgreichen Leistungssportler wichtig zu erleben, wie es im Büro so zugeht?

Kiese: Ich habe während meiner sportlichen Karriere immer auch für die Zeit nach dem Sport geplant. Eigentlich muss das jeder Basketballer in Deutschland und auch jeder andere Spitzensportler, wenn er nicht gerade in der 1. Liga Fußball spielt und sich so eine finanzielle Unabhängigkeit schaffen kann. Das Berufsleben nach der Sportkarriere ist meist lang.

AGA: Zeitgleich zum Spitzensport haben Sie studiert. Wie funktioniert diese Doppelbelastung und wie muss man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?

Kiese: Ich habe parallel an der Nordakademie ein Duales Studium in General Management abgeschlossen. Im Semester war ich morgens früh beim Fitnesstraining, dann in der Uni und anschließend zum Training in der Halle. In der Saison kommen die Spiele am Wochenende dazu. Freizeit ist dann selten.

AGA: Sie haben dann sogar auf den Fahrten zu den Auswärtsspielen gebüffelt, wie kam das bei Ihren Mitspielern an?

Kiese: Es stimmt schon – im Mannschaftsbus ist man erst einmal eine halbe Stunde der Dösbaddel, der lernt, während andere Filme gucken. Das legt sich auch wieder. Aber mir war immer klar, dass ich noch etwas machen muss. Der Sport reicht nicht für ein ganzes Leben, vor allem nicht in Deutschland, wo sich der Basketball noch nicht richtig gefunden hat und die Begeisterung und damit Nachfrage der Gesellschaft einfach eine ganz andere ist als beim Fußball. In den USA sieht das schon anders aus.

AGA: Es gibt viele Studien, die Teambuilding und die Interaktion untereinander zwischen Sport und „normalem“ Job vergleichen. Ziehen Sie auch Parallelen?

Kiese: Die Parallelen sind da, das ist ganz klar. Das fängt schon bei Konfliktsituationen an. Konflikte zwischen Spielern in einer Mannschaft kommen im Sport häufig vor, das ist nichts Besonderes. Am besten werden sie sofort zwischen den beiden Personen geklärt. Ich denke, das kann man sehr gut auf das Büro oder andere Arbeitsplätze übertragen. Wenn die direkte Klärung untereinander nicht funktioniert, braucht es einen objektiven Dritten, den Kapitän. Der wird nicht umsonst von der Mannschaft gewählt und muss in solchen Situationen schlichten können. Wenn auch das nicht hilft, muss der Trainer eingreifen. Das könnte man mit einer Führungskraft gleichsetzen. Aber die beste und schnellste Methode ist sicher immer die direkte Klärung untereinander. Vielleicht ist das leichter, wenn man das im Sport schon gelernt hat. Wo die Emotionen schnell hochkochen und es an körperliche Grenzen geht, kann man trotzdem auch Konflikte schnell lösen. Das hilft mir hoffentlich später.

AGA: Ein Basketball-Team setzt sich aus Einzelgängern, Kämpfern, Teamplayern, also aus ganz unterschiedlichen Charakteren, zusammen. Braucht es da einen Ausgleich und welche Mischung macht’s?

Kiese: Sie können im Basketball keine fünf Alpha-Charaktere gemeinsam auf den Platz lassen. Das wird nicht funktionieren – auch im Job nicht. Aber es braucht diesen selbstbewussten Charakter. Neben ihm muss es aber auch die Glue Guys geben, die, die eine Mannschaft zusammenhalten, und einen Kapitän, der objektiv für alle eintritt. Diese Mischung braucht es sicher im Sport und im Job. Wichtig ist auch, dass es jemanden gibt, der einfach Verantwortung übernimmt. Im Basketball sind es oft Entscheidungen von Millisekunden. Mal ist man der Depp, weil die Spielidee einfach nicht funktioniert hat, mal ist man der Spieler, der in letzter Sekunde das Spiel gedreht hat. Dieser Mut zur Verantwortung wird im Job auch gebraucht. Man darf auch nicht vergessen, dass jeder Spieler einen anderen Hintergrund mitbringt. Das ist sicher überall auch in der Arbeitswelt so. Es gibt Statistiken, an denen du gemessen wirst. Wenn du neu in einer Mannschaft bist, weißt du genau: Entweder ich spiele jetzt viel oder in der nächsten Saison bin ich weg. Wenn du dann nicht eingesetzt wirst, reagierst du natürlich entsprechend. In den Ligen kommen oft auch Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen zusammen. Da gibt es die, die den Sport nur als Hobby ausüben, und die, deren Hauptberuf er ist. Da geht es um die Existenz, wenn es nicht klappt. Diese verschiedenen Ansprüche unter einen Hut zu bekommen ist nicht leicht und klappt nur in einem guten Team, das gewachsen ist.

AGA: Wenn einfach gar nichts funktioniert und man hat einen Misserfolg nach dem anderen. Wie motiviert man sich dann. Wie haben Sie und Ihre Mannschaft den Weg heraus aus solchen Situationen gefunden?

Kiese: Wir hatten den Fall zu Beginn der letzten Saison. Die Saison startete und es lief überhaupt nicht gut. Aber gerade diese Zeiten sind es, die ein Team wachsen lassen. Gemeinsam Erfolge feiern, ist einfach. Natürlich ist die Leistung dann toll und man hat auch hart dafür gearbeitet, aber es ist leichter, als mit Misserfolg umzugehen. Man muss es schaffen, all die üblichen Dinge nicht zu tun: Nicht auf einen anderen Spieler zeigen, der es angeblich verbockt hat. Nicht glauben, die Mannschaft hat nur verloren, weil man selbst nicht ausreichend eingesetzt wurde, nicht auseinanderfallen. Die Stärke eines Teams zeigt sich, wenn man verliert. In diesen Momenten wird der eigentliche Spaß am Sport zum anstrengenden Job. Man muss dann klare Ziele formulieren, diese visualisieren, zusammenhalten. So haben wir es in die Play-Offs geschafft.

Das Gespräch führte AGA-Hauptgeschäftsführer Volker Tschirch bei einem Inhouse-Seminar. Das Thema „Leistung – Leidenschaft – Vielfalt“ wird auch auf der feierlichen Verleihung des Ausbildungspreises von AGA und INW am 10. November 2016 mit Rednern aus den Reihen der Hamburg Towers aufgegriffen werden.

Die Hamburg Towers sind das Profi-Basketballteam in Hamburg. Seit der Saison 2014/15 spielen sie in der ProA, der zweithöchsten deutschen Liga. Und sie sind ein Phänomen: Ohne viel Werbung und Aufsehen startete die Mannschaft in Wilhelmsburg 2014 durch. Ausverkaufte Heimspiele mit 3.000 Zuschauern in der Inselparkhalle und überzeugende, sportliche Erfolge. Hinter den Towers steht ein langjähriges Projekt. Marvin Willoughby, heute sportlicher Leiter der Towers, hatte 2006 den Verein „Sport ohne Grenzen e.V.“ gegründet, um Kinder von der Straße zu holen und Hamburger Basketball-Talente zu fördern. Die Towers zeigen – das Ziel ist erreicht. „Sport ohne Grenzen e.V.“ arbeitet im Jugendbereich bei der Nachwuchsförderung weiter. Der AGA unterstützt die Hamburg Towers seit ihrer ersten Spielsaison 2014/15.

Steffen Kiese im Film:

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Volker Tschirch
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