2020 war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Was waren für Sie als Arbeitspsychologin wichtige Learnings?
Prof. Ulrike Hellert: Klar im Vorteil waren Unternehmen, die bereits vor der Krise proaktiv mobile Arbeit und/oder Homeoffice angeboten haben. Davon profitierten auch die Beschäftigten. Denn sie konnten viel besser mit dieser Umstellung umgehen und waren sensibler für Arbeitsschutzmaßnahmen. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die vorher kommuniziert hatten, dass mobile Arbeit und/oder Homeoffice nicht funktioniert, nun feststellen konnten, dass es eben doch geht.
Welche Herausforderungen stachen in Ihrer Beratungspraxis von Unternehmen besonders hervor?
Prof. Hellert: Unternehmen mussten sich von jetzt auf gleich an die neue Situation anpassen. Dabei ging es vor allem um Arbeitsschutzmaßnahmen. Es galt, den Gesundheitsschutz zu gewährleisten und gleichzeitig sollten die Beschäftigten weiterhin motiviert arbeiten und zufrieden sein. Vor allem die HR-Abteilung war gefordert, alles im Blick zu behalten und allen Ansprüchen gerecht zu werden. Beispielsweise mussten Schichtpläne teilweise angepasst werden. Dabei kam es auch auf die gute Kommunikation an. Bei den Beschäftigten musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, teilweise kamen erschwerend Sprachbarrieren hinzu.
Welche Unternehmen sind bei schwierigen Herausforderungen besonders resilient?
Prof. Hellert: Von einer Krise nicht so schnell erschüttern lassen sich Unternehmen, die die Perspektive schnell ändern können und insbesondere jene, die agile Führungskräfte an Bord haben und eine starke Vertrauenskultur besitzen. Bei plötzlichen Veränderungen - wie in der Corona-Krise - können starre Unternehmenskulturen hinderlich sein. Es braucht agile Führungskräfte, die als Leader nach innen klar kommunizieren, dass es wichtig ist, sich kurzfristig an die aktuelle Lage anzupassen und die Strategie neu zu justieren. Eine ausgeprägte Vertrauenskultur - wie oft in kleinen und mittleren Unternehmen vorhanden sorgt dafür, dass sich die Belegschaft sicher sein kann, dass der Kurs zum Wohl des Unternehmens und der gesamten Belegschaft angepasst wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass beispielsweise veränderte Arbeitsabläufe notwendig sind, um weiterhin produktiv zu wirtschaften und die Wettbewerbsfähigkeit sowie Arbeitsplätze zu sichern.
Sie haben gemeinsam mit dem AGA in diesem Jahr einen Fragebogen zur psychischen Gefährdungsanalyse erarbeitet. Welchen Ratschlag geben Sie Unternehmen, die sich verstärkt oder sogar erstmals mit diesem Thema auseinandersetzen?
Prof. Hellert: Jeder Arbeitgeber sollte das Thema ernst nehmen und sich damit auseinandersetzen, was psychische Belastung für das eigene Unternehmen bedeutet. Gerade in der aktuell dynamischen Arbeitswelt kommt es darauf an, bei diesem Thema gut aufgestellt zu sein. Denn möchte nicht jeder Arbeitgeber motivierte, zufriedene, arbeitsfähige und kompetente Beschäftigte haben? All diese Faktoren werden geschwächt, wenn die Belastung zu hoch ist. Gerade das herausfordernde Jahr 2020 zeigt, dass Menschen, die nicht so schnell auf Umstellungen reagieren können, stärker psychisch belastet sind. Es liegt ganz einfach daran, dass die Corona-Pandemie die psychischen Grundbedürfnisse wie Kontrolle und Orientierung teilweise ausgehebelt hat. Bei dem einen mehr, beim anderen weniger. Daher ist gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit einer Gefährdungsanalyse zu signalisieren, dass man sich kümmert und wichtige Fragen klären möchte: Wo ist der Druck stark? Wo besteht Handlungsbedarf? Was können wir noch tun? Mit dieser wissenschaftlich fundierten Analyse und der Umsetzung entsprechender Empfehlungen bringen Arbeitgeber ihren Beschäftigten Anerkennung und Wertschätzung entgegen.
Gibt es ein einheitliches Schema für die Gefährdungsbeurteilung?
Prof. Hellert: Für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen empfiehlt sich der Einstieg über eine standardisierte, anonyme Beschäftigtenbefragung. Daraus resultieren breite Informationen, aus denen erste Handlungsbedarfe abgeleitet werden können. Natürlich sollten die weiteren Schritte zum Unternehmen passen. Möglich sind beispielsweise ein Workshop oder ein Gruppencoaching, die auch individuell gestaltet werden. Auf jeden Fall sollten die Ergebnisse gemeinsam analysiert und weitere Schritte erarbeitet werden, um die Belastung am Arbeitsplatz herunterzufahren. Es geht nicht darum, die Belastung komplett auf Null zu setzen, sondern um die Frage, ob die Beschäftigten ausreichend Ressourcen zur Verfügung haben, um mit den Anforderungen klarzukommen. Was den einen oder die eine belastet, ist für andere teils überhaupt keine Belastung. Daher braucht es den direkten Austausch im Workshop, um gemeinsam die Segel für den richtigen Kurs zu setzen.